Donnerstag, 13. November 2008

Vom nie verlorenen Sohn


An die Geburtsstunde dieses Blogs wird sich keiner je erinnern. Als meine persönliche Eselsbrücke dient jedoch die Wahl Barack Obamas zum 44. Präsidenten der USA in der vergangenen Woche - die Geburt eines neuen Amerika wie viele meinen.

Das unter George W. in der Reputation auf das Niveau vom Toten Meer gesunkene Land kehrt unter Obama an den transatlantischen Familientisch zurück. Unabhängig von kommenden Enttäuschungen in außen- und sicherheitspolitischen Fragestellungen dürfte sich das Amerika-Bild in Europa merklich aufhellen. Das freut und bestürzt gleichermaßen. Freudig ist die Tatsache, dass ein Europa aufs engste verbundenes Land nicht mehr als Schurkenstaat wahrgenommen wird; bestürzend ist, dass dies jemals so gesehen wurde. Sind Pavarotti und Padua gleich schlecht, weil Silvio wieder mal sein grausames Zepter schwingt? Haben alle Hessen einen Knall, weil ihre Politiker sich zum Gespött eines ganzen Landes machen?

Natürlich, wird der bewegte Leser einwenden, setzen die einen im zweiten Winterwahlkampf eines Jahres nur abgefrorene Fingerspitzen ihrer Parteisoldaten aufs Spiel, während Bush jr. 100.000 Menschenleben zu verantworteten hat (diese traurige Zahl hat das SZ-Magazin am vergangenen Freitag errechnet). Aber in Wahrheit geht es in allen Fällen um die Errungenschaft zu abstrahieren.

Im verbalen Epizentrum der Politikverdrossenheit sollte die Trennung von Regierung und Land als solchem eigentlich besonders gut klappen. Wäre zumindest von Vorteil zur Schizophrenie-Prophylaxe. Bin ich nun ein besonders liebenswerter Hamburger, weil der nette von Beust meine Stadt regiert? Muss ich mich als Berliner selbst kasteien, weil die Linken mitregieren? Werde ich als Wähler angefeindet, weil es doch noch mal eine demokratisch legitimierte Regierung gibt?

Noch mehr gilt dieses Separationsgebot übrigens im historischen Kontext. Wer seine Amerika-Aversion noch immer mit Vietnam begründet, darf sich wohl kaum darüber aufregen, in englischen Pubs mit dem zum Gruße erhobenen rechten Arm konfrontiert zu werden.

Fakt ist, dass wir den Amerikanern zugestehen sollten, sich auch mal mit einer knappen Mehrheit gegen unseren europäischen Wunschkandidaten entscheiden zu können. Ohne von uns anschließend mit Verachtung bestraft zu werden. Auch vor vier Jahren hat etwa die Hälfte demokratisch gewählt, alle Obama-Wähler haben auch vor vier Jahren schon gelebt. Wer in den Amerikanern keine Freunde sieht, soll sich gerade jetzt dazu bekennen. Die Zeit des Versteckens hinter der berechtigten Kritik an der Bush-Administration ist passé.